Kreis der Quadratur: Die runde Orgel in der Christuskirche Speyer

Kreis der Quadratur
Grundriss-Schema der Orgel in der Christuskirche zu Speyer.
In der Mitte ist der Betonpfeiler zu erkennen, um den ,sich die sichelförmigen Windladen gruppieren.
Von oben gegen den Uhrzeigersinn: Hauptwerk 2; darüber, fast deckungsgleich, Zeichnung: Peter Ohlert

Kreis der Quadratur. Bis heute haben Orgelbauer und Architekten immer wieder versucht, der Orgel ein möglichst elegantes Äußeres zu geben und den Eindruck des Kastenartig-Schweren, besonders in der Seiten- und Untersicht, zu vermeiden. Oft stellte man dabei einige Pfeifen auf geschweifte oder halbrunde Prospektstocke vor die üblicherweise rechteckige Windlade oder auch um sie herum.

In der neuen Orgel der Christuskirche Speyer dagegen ist außer den Klaviaturen annähernd alles rund oder zumindest mehrfach abgewinkelt.

Für die Orgelbauer wurde die Konstruktion dieser Orgel zu einer großen Herausforderung, um so mehr, als der Einbau von Transmissionsregistern und einer dualen Registersteuerung gewünscht wurde und alles zudem zuganglich angelegt und leicht zu warten sein sollte.

Dennoch kann die hochkomplizierte Anlage klanglich wie technisch überzeugen, wenngleich der immense Aufwand wahrend der Planung und Ausführung die Nachahmung kaum nahelegt.

Kreis der Quadratur: Die runde Orgel in der Christuskirche Speyer


Die Angaben zur Planungsgeschichte und die Zitate sind der Festschrift Die neue Orgel der Prot. Christuskirche in Speyer, Speyer 2000, entnommen.


 

Der Kirchenraum des 1964 nach Plänen von Egon Freyer erbauten Gemeindezentrums bietet keine Wand, an der eine angemessen große Orgel aufgestellt werden konnte: An den Seiten fuhren Glasfenster bis in die Hohe von etwa vier Metern; die zeltartige Holzdecke schließt unmittelbar an. Die hohe Stirnwand ist mit ihren Farbglaselementen gestalterischer Teil der Altarzone; lediglich ein schmales Segment dieser Wand blieb ohne Fenster.

Die Rückwand schließlich wird von einer breiten, zweiteiligen Falttür eingenommen, die den dahinterliegenden Saal vom Kirchenraum trennt. Am 7. September 1964 notierte der damalige Pfarrer Bahr: »

Die Endplanung der Gestaltung des Innenraums unserer Christuskirche hat sowohl für den Standort als auch für die Form der Orgel ganz neue Gesichtspunkte ergeben. Wir haben uns entschlossen, die Orgel nicht an der Giebelseite, sondern um eine der tragenden Betonsäulen im Mittelraumder Kirche und zwar in einigen Metern Hohe zu installieren.« Und Architekt Freyer schrieb: »

Die Orgel selbst soll dereinst in freier Gruppierung der Werke um die östliche, 9 m hohe Stahlbetonstutze, bei mechanischer Traktur, in orgelbautechnisch und architektonisch neuer Art gestellt werden.«

Der Kanzellenrahmen
Bild von der Konstruktion der Windlade zum Hauptwerk l. Der Kanzellenrahmen. Foto: Peter Ohlert
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Bild von der Konstruktion der Windlade zum Hauptwerk l. Die bogenförmigen Schleifen, die durch Laufrädchen gegen das Verkanten abgesichert sind. Foto: Peter Ohlert

Diese Vorgaben, eine vom Sachverständigen Gero Kaleschke entwickelte Disposition und die lange gewachsenen Vorstellungen der Gemeinde von ihrer künftigen Orgel bildeten die Ausgangssituation für die Orgelbauer, die 1989 ihre Angebote einreichten.

Der Orgelbaumeister Klaus Scherpf, Speyer, hatte eine unkonventionelle Prospekt- und Gehäusegestaltung entworfen; die Gemeinde favorisierte dieses Angebot. Zwar gab es Bedenken hinsichtlich der technischen Ausführbarkeit; doch fand man auch, dass es nicht gegen ein solches Vorhaben spräche, wenn bislang noch nie eine runde Orgel gebaut worden sei. Ablehnend äußerte sich 1990 der Landeskirchenmusikdirektor, der der »Verwirklichung einer Architektenidee« nicht zustimmen wollte.

Nach der Klärung weiterer Detailfragen genehmigte schließlich der Landeskirchenrat das Vorhaben; die Firma Scherpf erhielt 1991 den Auftrag.

Nach hoffnungsvollem Beginn stagnierten die Arbeiten, und das Vorhaben stand schließlich 1996 fast vor dem Aus. Mit Zustimmung des Pfarramts nahm nun Gero Kaleschke, der als Sachverständiger das ehrgeizige Projekt von Anfang an begleitet hatte, Kontakt mit anderen Orgelbauwerkstatten auf; der Orgelbau sollte weitergeführt werden.

Der Orgelbaumeister Peter Ohlert, Kirkel. signalisierte seine grundsätzliche Bereitschaft, die Orgel nach dem ursprünglichen Konzept auszuführen; nach intensiven Verhandlungen beauftragte man ihn mit der Fertigstellung. Dem Orgelbauer wurde jedoch die Möglichkeit eingeräumt, mit Rücksicht auf die Funktionssicherheit in Einzelheiten von der bisherigen Planung abzuweichen.

Aus der ersten Bauphase fand Peter Ohlert das Pfeifenwerk, das Spieltischchassis und die unvollständige Windlade zum Hauptwerk 2 vor. Weil die Teile so lang gelagert worden waren, mussten sie zum Teil bereits überholt und repariert werden.

Außerdem mussten exakte Konstruktionszeichnungen angefertigt werden, die den relativ engen Vorgaben von Disposition und Grundrissanlage um die vorhandene Säule herum gerecht wurden.

Neu zu entwerfen war auch eine statische Sicherung der weit ausladenden Plattformen mittels vier Aufhängungspunkten.

Und hier fand sich nun der Orgelbauer in einer Situation, in der es für viele Detailfragen keine Erfahrungswerte gab. Wie lagert man eine Windlade, deren Schwerpunkt am äußeren Kreisbogen liegt? Wie erreicht man, dass bogenförmige Registerschleifen reibungsarm gleiten?

Der Standort jeder einzelnen Pfeife musste mit besonderer Sorgfalt definiert werden, denn die Windladen sind, genau betrachtet, nicht einfach kreisbogenförmig aufgebaut: Die chromatisch aufgestellten Pfeifen nehmen im Klaviaturverlauf in der Größe ab, so dass eine tendenziell spiralförmige Anordnung entsteht Wie gestaltet man ferner die Trakturführung möglichst wartungsfreundlich?

Scherpf hatte eine in den Laden verlaufende Seilzugtraktur geplant und teilweise bereits angelegt Schließlich: Wie würde sich der Wind in den keilförmigen Kanzellen verhalten?

Wenngleich all diese Ungewissheiten erhebliche Risiken bargen, lösten sich einige Probleme wie von selbst. So bereitete die Windführung keinerlei Schwierigkeiten: Allen Befürchtungen zum Trotz bewirkte die Kanzellenform keine Änderung in der Windverteilung.

Damit die Traktur leicht zugänglich eingerichtet werden konnte, musste sie allerdings neu angelegt werden.

Sie führt von der Spieltafel über bereits bogenförmige Winkelbalken zu den Ventilen, die an der Außenseite des Kreisbogens der Laden liegen; die letzte Umlenkung geschieht über Winkel direkt unter dem Windkasten und nicht, wie ursprünglich geplant, innerhalb der Lade. Zur Optimierung des Schleifengangs wurden Teflonscheiben als Gleithilfe eingesetzt.

Auch Transport und Montage der Windladen waren sehr aufwendig. Die gesamte Orgel, die auf Eisen kugeln gelagert ist.

Kann gedreht werden, so dass die zentrale Betonsäule mit viereckigem Grundriss den Zugang zu den teilweise recht eng gehaltenen Werkgehäusen nicht behindert.

Der Gebläsekasten bekam polygone Form, damit er sich in den Aufbau der Orgel einfügte.

Ein stehender Magazinbalg sorgt für ein solides Windpolster und wird von sparsam bemessenen Ladenbalgen unterstutzt Nur genau berechnete, zum Teil auch erst beim Aufbau ermittelte Aussparungen an den Innenwänden des Untergehäuses ermöglichten die Realisierung der dualen Registertraktur. Schließlich mussten die Gehäuseteile aus Eschenholz passgenau angefertigt werden.

Die Spieltafel der Orgel.
Die Spieltafel der Orgel.
Die Registerzuge sind in senkrechten Reihen angeordnet; von rechts nach links:
Pedal, Hauptwerk l (Untermanual), Hauptwerk 2 (Mittelmanual) und Oberwerk (Obermanual).
Foto: Günter Schild , Heidelberg

Die Orgel steht in einem zwar nicht kleinen, aber akustisch eher in timen Raum. Dennoch zeigt sie sich nicht nur optisch in beachtlicher Große.

Das Hauptwerk 1 bildet im Prospekt das mittlere Feld und bietet mit Cornet und Zungenregistern zu 16′ und 8′ ein klangmächtiges Grand Jeu;

hinzu kommen Begleitregister in dezenten, aber profilierten Farben. Wahrend die Koppelflöte 8′ klanglich klar, aber zurückhaltend angelegt ist, fallen bei der Traversflöte 4′ reizvolle Ansprachegeräusche auf.

Das Hauptwerk 1 steht auf einer Transmissionslade zusammen mit dem Pedal. Beiden Teilwerken gemeinsam sind die Zungenregister sowie die beiden Flöten; ausschließlich im Pedal stehen Subbass 16′ und das Prospektregister Octavbass 8′ zur Verfügung.

Gut ausgebaut ist der Principalchor des Hauptwerk 2, dessen Windlade direkt über der Spieltafel liegt Auf einem kräftigen Principal 8′ aufbauend, bietet es die Möglichkeit, mit Hilfe der Quinten 2 ‘ und 1 ‘ , – letztere aus der Mixtur abgezogen – das Plenum vielfaltig abzustufen.

Ferner besitzt es eine füIIige Rohrflöte und ein Spanisches Regal in horizontaler Bauweise, das neben außer als Solo- und Ensemble-Stimme auch als klangliches Bindeglied zwischen den kräftigen Trompetenregistern und der zurückhaltenden Schalmey im Oberwerk fungieren kann Mit zerlegtem Cornet, kleinster Principalbesetzung und einer Streicherstimme im Prospekt verfugt das Oberwerk über eine fast klassische Disposition.

Die unkonvent1onelle Zuordnung von Manualfunktionen erlaubt unter anderem triomäßige Liedbegleitung in vielen Klangfarben ohne großen Aufwand beim Registerwechsel: Benutzt man das Hauptwerk als Begleitmanual, so lassen sich auf beiden Außenklaviaturen gut zeichnende Soloregistrierungen in beachtlicher Auswahl finden.

Diese Anordnung ist zudem sehr ergonomisch. Der dreimanualige Ausbau hilft auch, unliebsame Überschneidungen trotz der lediglich zwei „echten“ Pedalregister im Bereich der Pedaltransmissionen zu vermeiden.

Von Windabfall, wie er bei der gemeinsamen Verwendung von Registern auf Transmissionsladen bisweilen vorkommt, war nichts zu spuren.

Die Orgel in der Christuskirche zu Speyer
Die Orgel in der Christuskirche zu Speyer.
Im unteren Teilgehäuse steht das Hauptwerk 2, in der Mitte rechts das Hauptwerk I, ganz oben das Oberwerk.
Foto: Günter Schild, Heidelberg

Blickfang des Orgelgehäuses sind die drei gegenläufig-harfenförmigen Pfeifenfelder, die sich halbrund um die Säule schmiegen.

Sie sind so angelegt, dass sie sich jeweils im Diskantbereich untereinanderschieben. Das ist deswegen sinnvoll, weil die Teilwerke so den Klang in der Melodielage annähernd in die gleiche Richtung abstrahlen zur singenden Gemeinde hin.

Ein besonderer Vorzug beim Ensemblemusizieren sowie für die Konzertatmosphäre überhaupt ist es, dass der Interpret an seiner „Orgelsaule“ mitten im Raum und im Publikum sitzt; der unmittelbare Kontakt zu seinen Zuhörern stellt ihn freilich auch vor neue Anforderungen.

Registerliste

Das Erstaunliche an dieser Orgel ist nicht nur ihr elegantes Aussehen und ihre Disposition, die mit gerade einmal 22 Registern ungewöhnlich vielfaltige Möglichkeiten bietet Bewundernswert sind auch der enorme Einsatz der Orgelbauer und der lange Atem von Kirchengemeinde und Kirchenverwaltung auf diesem besonders schwierigen Weg zu einer neuen, in vieler Hinsicht einmaligen Orgel.


Außer in den Gottesdiensten ist die Orgel auch regelmäßig in Konzerten zu hören, z. B. in den Matineen an jedem 3. Sonntag im Monat.
Informationen: Pfarramt der Christuskirche, Am Anger 5, D-67346 Speyer, Tel.: 06232 / 64-061 6


 

Friedrich Sprondel
Markus Zimmermann

Kreis der Quadratur : die runde Orgel in der Christuskirche Speyer / Friedrich Sprondel ; Markus Zimmermann
In: Orgel international. – (2001), 6, S. 388-391. – Ill.
Zitierlink:
http://www.rlb.de/cgi-bin/wwwalleg/gooi.pl?s1=107t021387

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